Das Urteil über einen vermeintlich schwachen Vater, der sich überraschend als zu stark für seinen Sohn erweist, hatte Kafka in einer einzigen Nacht 1912 in einem seiner Tagebuchhefte zu Papier gebracht. Sein Werk hielt er sofort für unzweifelhaft gelungen und sah fortan ein solch spontanes Erschaffen dichterischer Texte als Ideal: »Nur so kann geschrieben werden, mit solcher vollständigen Öffnung des Leibes und der Seele.«
Die Studienausgabe verzeichnet relevante Korrekturvorgänge in der Handschrift, berichtet über die lebensgeschichtliche Situation des Autors, in der der Text entstand, weist auf mögliche oder wahrscheinliche Anregungen hin, informiert über Varianten zwischen den zu Lebzeiten Kafkas erschienenen Ausgaben und erläutert einzelne Ausdrücke und Formulierungen.
Franz Kafka (3.7.1883 Prag – 3.6.1924 Kierling bei Klosterneuburg) studierte nach dem Abitur Jura an der Deutschen Universität Prag und wurde 1906 promoviert. Im Brotberuf Versicherungsjurist widmete sich Kafka seiner schriftstellerischen Tätigkeit in der Regel nachts. Seine erste große Erzählung Das Urteil (1912) bedeutete den Durchbruch zu einem eigenen Erzählstil, der von präzise-realistischen Detailschilderungen und einer phantastisch-grotesken Verfremdung der Realität gekennzeichnet ist. Kafkas unverwechselbarer Stil wird mit dem eigens geprägten Begriff ›kafkaesk‹ beschrieben. Kafka starb im Alter von 40 Jahren an Tuberkulose.
Der Herausgeber: Michael Müller, geb. 1950, ist nach Forschungs- und Lehrtätigkeit an der Bergischen Universität Wuppertal und den Universitäten Bari und Bergamo als freier Publizist und Übersetzer tätig. Er lebt in der Nähe von München.