: Filmgenres: Animationsfilm

Filmgenres: Animationsfilm

Hrsg.: Friedrich, Andreas. 371 S. 29 Abb.
ISBN: 978-3-15-018405-9

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Trickfilme aus den Studios von Walt Disney kennt jeder seit Kindertagen. Aber die Welt des Animationsfilms – so die korrekte Genrebezeichnung – ist viel größer: Der Animationsfilm kann alles zeigen, was sich denken oder zeichnen lässt, ist also nicht, wie andere Filmgenres, festgelegt auf bestimmte Stoffe oder Motive. In diese ganze Themen-Palette führt der Band mit zahlreichen Porträts der besten Filme umfassend und sachkundig ein.

Einleitung
Abkürzungen

Pioniere des Animationsfilms
Special Focus: Emile Cohl

Die Abenteuer des Prinzen Achmed - Der neue Gulliver - Die sieben Raben

Internationale Kurzfilme der 1920er und 1930er Jahre
Special Focus: Alexandre Alexeïeff

Schneewittchen und die sieben Zwerge - Die Fabel von Reineke Fuchs - Fantasia

Frühe Kurzfilme der Hollywood-Studios
Special Focus: Der Weg zu Tex Avery

Pinocchio - Der Kaiser und die Nachtigall - Aufstand der Tiere - Animal Farm

Internationale Kurzfilme der 1940er und 1950er Jahre
Special Focus: Norman McLaren

Das Dschungelbuch - Yellow Submarine - Die Konferenz der Tiere - Adam 2 - Fritz the Cat - Die neun Leben von Fritz the Cat - Der phantastische Planet/Der wilde Planet

Internationale Kurzfilme der 1960er und 1970er Jahre
Special Focus: Jan Švankmajer
Allegro non troppo - Krabat - Der Herr der Ringe - Der König und der Vogel - Die fliegende Windmühle

Kurze Trickfilme der DEFA – Ein Überblick
Special Focus: Lutz Dammbeck

Das letzte Einhorn - Mrs. Brisby und das Geheimnis von NIMH - Tron - Samson & Sally - Comet Quest - The Adventures of Mark Twain

Internationale Kurzfilme seit den 1980er Jahren
Special Focus: Stephen und Timothy Quay

Wenn der Wind weht - Akira - Falsches Spiel mit Roger Rabbit - Die letzten Glühwürmchen - Die Muppets Weihnachtsgeschichte

Animationsserien im Fernsehen
Special Focus: Die Simpsons

Die geheimen Abenteuer von Däumling - Der König der Löwen - Nightmare Before Christmas - Ghost in the Shell - Ghost in the Shell 2: Innocence - Toy Story - Prinzessin Mononoke - Jin-Roh - Kiriku und die Zauberin - Käpt’n Blaubär - Der Film - South Park - Der Film - Chihiros Reise ins Zauberland - Final Fantasy - Die Mächte in dir - Mutant Aliens - Shrek - Der tollkühne Held - Shrek 2 - Der tollkühne Held kehrt zurück - Ice Age - Ice Age 2 - Jetzt taut’s - Findet Nemo - Das Geheimnis der Frösche - Das große Rennen von Belleville - Tokyo Godfathers

Special und Visual Effects Animation im Realfilm
Special Focus: Immortal

Die Unglaublichen - The Incredibles - Tim Burton’s Corpse Bride - Hochzeit mit einer Leiche - Wallace & Gromit: Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Register der Filmtitel

Shrek 2 - Der tollkühne Held kehrt zurück
Shrek 2
USA 2004 f 89 min
R: Andrew Adamson, Kelly Asbury, Conrad Vernon
B: Andrew Adamson, Joe Stillman, J. David Stern, David N. Weiss, nach dem Kinderbuch von William Steig
M: Harry Gregson-Williams
A: Ken Bielenberg, Philippe Gluckman (Visual Effects Supervisors), Steve Pilcher (Art Director), Raman Hui, Tim Cheung, James Baxter (Supervising Animators) u. a.
St (OF/DF): Mike Myers / Sascha Hehn (Shrek), Cameron Diaz / Esther Schweins (Fiona), Eddie Murphy / Randolf Kronberg (Esel), Antonio Banderas / Benno Fürmann (Gestiefelter Kater), Julie Andrews / Marie-Luise Marjan (Königin), John Cleese / Thomas Danneberg (König), Rupert Everett / Thomas Vogt (Prinz Charming), Jennifer Saunders / Angelika Milster (Gute Fee)

Er ist grün, dick und hässlich, liebt Schlammduschen, putzt sich die Zähne mit ausgepressten Raupen, furzt und rülpst ungeniert nach Herzenslust. Kurzum: Shrek ist ein
ungeschlachter Oger, der alle in Angst und Schrecken versetzt, und gleichzeitig der ungewöhnlichste Held, den es bislang im familienorientierten Animationsfilm gab. Dabei will der Unhold mit dem vermeintlich sprechenden jiddischen Namen nur seine Ruhe haben, ist er es doch leid, dass man ihn stets auf Grund seines angsteinflößenden Äußeren sogleich in die Monster-Schublade steckt. Denn tief in seinem Inneren verbirgt der Einzelgänger eine gute, empfindsame Seele, fähig zu wahrer Liebe und Freundschaft. Mit Shreks selbstgewählter Einsiedelei ist es vorbei, als althergebrachte Märchen- und Fabelwesen von Rotkäppchen über den Rattenfänger von Hameln bis zu Pinocchi in seinem Sumpf Zuflucht vor dem sinistren Lord Farquaad suchen, der sein perfekt-sauberes Reich namens
Duloc von diesem "Märchenabschaum" befreien will.
Shrek lässt sich auf einen Deal mit Farquaad ein: Er bekommt sein Oger-Reich wieder für sich allein, dafür rettet er im Gegenzug die Märchenprinzessin Fiona aus den Fängen eines Drachen, denn der feige Wichtigtuer Farquaad will die edle Dame heiraten, um endlich König werden zu können. Mit von der Partie bei dieser gefährlichen Mission ist zu Shreks Leidwesen ein sprechender Esel, der wortreich um die Freundschaft des abweisenden Monstrums wirbt. Im Original leiht Eddie Murphy diesem vorlauten Schnell- und Vielsprecher seine Stimme, während Shrek mit Mike Myers' Augenbrauen und Stimme samt schottischem Akzent daherkommt. Cameron Diaz fungierte als Vorbild für Prinzessin Fiona und spricht die Figur auch.
Shrek versteht sich in jeder Hinsicht als Anti-Disney-Film, nimmt er doch die stilbildende anthropomorphe Niedlichkeit der Disney-Ästhetik gekonnt aufs Korn und setzt dagegen Einfallsreichtum, Tempo, scharfen Witz und das Spiel mit den Genrekonventionen, das auch Extreme nicht scheut. So wird in dem in kalten Farben gehaltenen Saubermannreich Duloc der Pfefferkuchenmann gefoltert, Fiona und Shrek blasen im Liebesflirt Kröte und Schlange zu Luftballons auf, oder die Prinzessin trillert in einer idyllischen Morgenszene, die unübersehbar auf Disneys Schneewittchen und die sieben Zwerge (1937) anspielt, mit einem brütenden Vogel um die Wette, bis dieser regelrecht platzt. Die Vogeleier landen dann sogleich als Frühstück in der Pfanne. Solche erfrischend drastischen Szenen und sexUellen Anspielungen - z. B. auf die phallisch emporragende Burg des kleinwüchsigen Farquaad - verdeutlichen die Philosophie des produzierenden DreamWorks-Studios, auch erwachsene Zuschauer anzusprechen, ohne das kindliche Stammpublikum des Animationsfilms zu vertreiben. Der Kassenerfolg von Shrek und Filmen wie Ice Age (2002), Die Monster AG (2001) oder den plastilinanimierten Chicken Run - Hennen rennen (2000) und Wallace & Gromit: Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen (2005) zeigt, dass dieses Kalkül aufgeht. Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences trug diesem neuen Trend ebenfalls Rechnung und richtete eine eigene Oscar-Kategorie für den abendfüllenden Animationsfilm ein, deren erster Preisträger Shrek wurde. Der Film ist zudem eine deutliche Kampfansage an das Disney-Studio, das so viele Jahre lang den Trickfilm unangefochten dominierte. Dass dessen Erfolgsfiguren wie Schneewittchen und die sieben Zwerge auf der Flucht vor dem bösen Farquaad sind und dieser dem damaligen Disney-Chef Michael Eisner ähnlich sieht, lässt an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig, zumal Shrek von dem früheren Disney-Topmanager Jeffrey Katzenberg produziert wurde. Nach seinem Weggang gründete dieser mit Steven Spielberg und David Geffen DreamWorks und sorgte dafür, dass 1998 ihr erster Animationsfilm Antz in einem heißen Wettlauf mit Disneys Das große Krabbeln die Nase vorn hatte.
Mit Shrek setzten die Digital-Künstler der DreamWorks-Firma Pacific Data Images neue Maßstäbe in der Computeranimation. Sie schufen einen fantastischen Superrealismus, dessen Bilder nie die Herkunft aus dem Rechner assoziieren lassen, aber auch fern von einem Abbild- oder Fotorealismus wie in dem misslungenen Experiment Final Fantasy (2001) sind. 275 Künstler arbeiteten über drei Jahre bei einem Budget von siebzig Millionen Dollar daran, 36 verschiedene virtuelle Filmsets, eine Vielzahl von Figuren und jeweils über fünfhundert Kontrollpunkte für Körper- und Gesichtsbewegungen zu erschaffen. Diese waren unverzichtbar, um die Menschen an der Seite der Fabelwesen zu zeigen und vor allem Fiona glaubhaft in diese Märchenwelt zu integrieren, sie aber gleichzeitig durch eine natürliche Mimik und Gestik aus ihr herauszuheben. Wäre diese Gratwanderung gescheitert, hätte das Happy End zwischen Shrek und der Prinzessin nicht funktioniert. Für die ursprünglich nicht geplante Fortsetzung Shrek 2 - Der tollkühne Held kehrt zurück entwickelten die Tüftler von DreamWorks ihre Animationssysteme deutlich weiter. CGI-Knackpunkte wie Fell, Haare, Bäume, Blätter, Stoffe, Wasser, Regen oder Wolken wurden möglichst realitätsnah gestaltet, ohne ihren fantastischen Superrealismus zu verlieren. So konnte auch die Herausforderung bewältigt werden, mit Shrek, Esel und ihrem neuen Gefährten, dem Gestiefelten Kater (als Zorro-Persiflage im Original von Antonio Banderas gesprochen), gleich drei Lebewesen mit höchst unterschiedlichen Texturen einem Regenguss auszusetzen und sie danach trocknen zu lassen.
Ungeachtet des Einsatzes modernster Computer ist die Dramaturgie der Shrek-Filme klassisch und mixt auf originelle Weise die Märchenzutaten mit Musical, Buddy Movie, Abenteuer- und Liebesfilm. Denn die Macher haben klug erkannt, dass das Publikum nicht von ausgefeilter Technologie ins Kino gelockt wird, sondern von guten Geschichten. Und die liefern die beiden Filme nach einem hierzulande kaum bekannten Kinderbuch von William Steig in Reinform, erzählen sie doch in modernem Gewand die altbekannte Mär von einem, der auszog, das Lieben zu lernen bzw. um seine Liebe zu kämpfen und sich selbst zu finden. Im ersten Teil erkennt Shrek durch Fiona und den Esel, dass er zu seinen Gefühlen stehen und sich für andere öffnen muss. Gleichwohl tragen die Filme den postmodernen Popkultur- und Medienerfahrungen ihrer kleinen und großen Zuschauer Rechnung und spielen gekonnt mit Erfolgssongs, Filmzitaten aus Disney-Klassikern wie Peter Pan (1953) und Dumbo (1941), berühmten TV-Serien wie den Simpsons (seit 1989), South Park (seit 1997) und Hawaii Five-O (1968-80), Filmklassikern wie Verdammt in alle Ewigkeit (1953) oder Hollywood-Blockbustern wie Gladiator (2000), den Indiana Jones(1980-88) oder Matrix-Filmen (1999-2003). So zum Beispiel, wenn Shrek gegen den Drachen kämpft, in Farquaads Arena die Ritter reihenweise besiegt oder Fiona mit fernöstlicher Kampftechnik in der Luft schwebend die Gegner schachmatt setzt. Auch die Märchen-Konventionen bürsten die Shrek-Filme kräftig gegen den Strich: mal erheiternd, wenn Figuren wie die gute Fee oder Aschenbrödel als moderne Medienstars inszeniert werden oder wenn sich der furchtbare Drache als anschmiegsames Weibchen entpuppt, das in Liebe zum kecken Esel entbrennt; mal ernsthaft, wenn die für Märchen typische schwarzweißmalerische Gleichsetzung von Gut und Schön bzw. Böse und Hässlich ad absurdum geführt wird. Dies geschieht konsequent bis zum letzten Bild, denn es gehört zu den Stärken dieser Variation von Die Schöne und das Biest, dass die anmutige Prinzessin Fiona, die sich bei Sonnenuntergang auf Grund eines Fluchs selbst in ein hässliches und fülliges Wesen verwandelt, dieses ungeliebte Äußere behält, als der Kuss der wahren Liebe von Shreks Lippen sie von der Verwünschung erlöst. Nur die inneren Werte zählen, nicht das Aussehen, lautet die Moral von der Geschicht', die normative Schönheitsideale und krankmachenden Schlankheitswahn auf amüsante Weise attackiert.
Auch Shrek 2 behält diese einfache, zutiefst ethische Botschaft bei: Shrek und Fiona sind glücklich miteinander. Erst der Antrittsbesuch bei Fionas königlichen Eltern in deren Märchenreich "Far Far Away" bringt Unfrieden in die junge Ehe. Verunsichert durch die ablehnende Reaktion der Blaublüter auf ihren grobschlächtigen Schwiegersohn, verwandelt sich Shrek aus Liebe zu Fiona mit Hilfe eines Zaubertranks in einen stattlichen Mann. Am Ende stehen beide vor der Wahl, ihr attraktives menschliches Äußeres zu bewahren oder wieder zu grünen Monstren zu werden. Sie entscheiden sich für ihr wahres Sein. Insgesamt kommt Shrek 2, der zum erfolgreichsten Film des Jahres 2004 avancierte, mit seiner Liebes- und Ehethematik erwachsener daher. Anstelle von Disney wird in der Fortsetzung ganz Hollywood auf die Schippe genommen: Das Königreich "Far Far Away" kündigt sich mit dem berühmten Paramount- Tor und dem noch berühmteren Schriftzug in den Bergen an, es gibt überdimensionierte Stretch-Kutschen, "Farbucks"- und "Versachery"-Läden sowie opulente Villen à la Beverly Hills, in denen die Märchenstars wie das magersüchtige Aschenputtel residieren. Die gute Fee ist in Wahrheit böse und nur auf ein positives Medienimage bedacht. Der vom Königspaar ausgerichtete Hochzeitsempfang für Shrek und Fiona erinnert sehr an die Gala des Academy Award mit ihrem Schaulaufen auf dem roten Teppich. So macht die Spottlust der Shrek-Verantwortlichen auch vor sich selbst und ihrem Oscar-Erfolg nicht halt.
Ursula Vossen

Literatur: William Steig: Shrek! New York 1993. - Paul Wells: Animation: Genre and Authorship. London 2002. - John Hopkins: Shrek. Aus dem Sumpf auf die Leinwand. Berlin 2004.

© 2007 Philipp Reclam jun. Verlag Gmbh & Co., Stuttgart

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